Was ist ein Mann? Diese Frage stellen sich Männer gelegentlich. Dann denken sie darüber nach und kommen zu Antworten, deren Haltbarkeiten die eines
Joghurts nicht übersteigen. Für die jungen Männer ist das unkritisch, die dürfen darüber im Unklaren sein, die sind ja schließlich noch am Werden, schlagen extra große Haken auf dem Weg in die fremde Verantwortungswelt erwachsener Männer. Die älteren, über 50-Jährigen haben zumeist andere Sorgen, und die homosexuellen Männer stehen nochmal
auf in einem ganz anderen Blatt. Bleiben also die heterosexuellen Mittelalten, deren Fragezeichen sich keine Zeitschrift so recht annehmen mag. Gemeint sind die 30- bis 50-Jährigen, mit Familie, äußerlich arriviert, innerlich suchend. Ihr Zustand ist der eines Expanders, rechterhand gezogen von konservativen Wirklichkeiten, linkerhand von wohl behütetem Punk, der bekanntlich nicht tot zu kriegen ist, schon gar nicht
damit.
So stehen sie da im Zeitschriftenkiosk, innen tobt der Krieg der Identitäten, vor ihren Augen eröffnet sich das bunt glänzende Schlachtfeld der Verlage. Die rechte Hand greift nach
brand eins,
Spiegel,
GQ,
Men’s Health,
Mare,
Technology Review und
Geo, die linke schnappt sich
Spex,
Titanic und irgendwelche coolen Magazine aus UK, USA oder Frankreich. Und auf dem Weg zur Kasse wird ihnen klar, dass sie am
Kicker und der
Auto Motor Sport auch nicht so einfach vorbei gehen können. Ein hübscher Stapel wird das, und die Frage, wer das alles lesen soll, wird gar nicht erst gestellt. Immerhin, so wird wenigstens das Coachtisch-Gleichgewicht wieder hergestellt, denn da liegen ja schon ein paar
Vogues (aus aller Herren Länder),
Harper’s Bazaar,
Vanity Fair, Self Service,
Wallpaper,
Another Magazine,
AD,
Instyle und manchmal sogar die
Glamour.
Tatsächlich aber findet der Blätterrauschkauf gar nicht statt. Denn diese Neuen Mittelalten wissen nicht so genau, was sie sich leisten können und wollen. Bevor sie sich belohnen, sich etwas gönnen, treten sie lieber auf die surfbrettgroße Kostenbremse und verlangen pauschale Enthaltsamkeit von der ganzen Familie. Selbst Jahre nach der Geburt des (ersten) Kindes, nach dem Berufseinstieg, nach dem Einzug in die 150qm-Altbauwohnung in
Gutbürgerhude fehlt Ihnen das nötige Selbstverständnis, pendeln sie auf der Achse zwischen Bourgeoisie und Rebellion, liebäugeln mit selbst verbotenem Luxus, beargwöhnen das im Herzensgrunde herbeigesehnte Bürgeridyll. Dann steigen sie in ihre relativ neuen BMWs oder Volvos und freuen sich über irgendwelchen Low-Fi-Trash auf
FSK. Oder sie schalten um auf iPod-Betrieb, um mit mühsam bewahrtem Entdeckerstolz die zuletzt vor zehn Jahren selbst aufgespürten coolen Bands abzuspielen.
Und schon poppen sie wieder auf, die Fragezeichen: Was ist ein Mann? Bin ICH ein Mann? Hören Männer
Adoleszentenklänge? Fahren Punks BMW? Tragen Männer Chucks? Sind Väter cool? Wandeln Punks auf Fischgrätparkett? Können Männer Punks sein? Sind Punks Männer? Sind Männer Spießer? Sind Männer Machos? Fahren Spießer Skateboard? Wollen Frauen Spießer? Machen Frauen Männer? Können Punks erfolgreich sein? Ja, ja, ja lauten all die Antworten, aber helfen tut das wenig. Was immer bleibt, ist so ein komisches Gefühl von Gebeuteltsein, so wie eine Chromkugel, die auf ihrem Weg zurück ins ungeliebte Unterdeck eines Hightech-Flippers hunderte Mal von a nach b geschossen wird, und immer scheint sie Ja zu rufen, bei jedem Schlag. Aber sie weiß genau, das bringt Punkte, jede Menge Punkte, je mehr Punkte, desto besser. Und diese Punkte stehen für die wabernde Wucht in diesen Männern. Sie können sensibel und Macho sein zugleich, sie wissen wie das geht, eigentlich. Sie können Firmenchef und Skater sein, Ärzte und gleichzeitig Independent Rockstars. Sie können sich Angst erlauben und Mut zeigen, väterlich und jugendlich sein.
Aber im Gegensatz zur funkelnden Flipperkugel wissen diese Männer das nicht wirklich. Und selbst wenn sie es wüssten, es fehlt ein wenig der Leitfaden, der diese Männer auf ihrem Wankelweg begleitet, so ein neuer, glaubwürdiger Vorschlag, eine neue Idee von einer Identität der Identitäten. Diese Männer sollten wissen, dass sie nicht allein sind, sie sollten diese Dialektik zelebrieren, jede dieser Identitäten hegen und pflegen, um sie beizeiten wie Kampfhähne aufeinander zu hetzen und feixend Wetten abzuschließen. Was also fehlt, ist eine Zeitschrift, die sich an diese Männer richtet, die erstens mit diesem Thema an sich umgeht, und zweitens all die Identitäten eines Mannes mit brauchbaren Inhalten bedient:
Beste neue Musik und Popkulturkritiken für den „Punk“, pädagogische Ideen für den Papa, Garten- und Wohntipps für den Spießer, Reiseberichte für den Familienvater, Besprechungen von okayen Familienautos (oder bezahlbaren Spaß, spannende Wirtschafts- und Karrieregeschichten, 70/80er Jahre-Reportagen für Nostalgiker, Lustiges für den Titanic-Freund, Avant Garde-Kunstkritiken für den Kunstliebhaber (bzw. verhinderten Künstler), politische Kolumnen für Macchiavellis oder Verschwörungsfans, Rezensionen von alten und neuen Büchern und Filmen, die wirklich lohnenswert sind, neueste Spielzeuge (
iPod & co), Fußball-Schwärmereien (WICHTIG!!) von sog.
großen Spielen und Hintergrundanalysen, usw..
Mit anderen Worten – das Beste aus den oben genannten Titeln plus die Themen Vaterschaft (z.B.
sowas), Familie (aber bitte einen Tick lässiger als
das hier) und Fußball (geht in die
richtige Richtung), dann haben wir genau die Zeitschrift, die ich brauche und auch kaufen würde. Und übrigens, die Autoindustrie hat uns als Zielgruppe längst im Griff, worauf warten nur
die Verlage?